Andreas zu “Midnight Clear”:
„Es sollte für einen Harfenspieler nicht weiter verwunderlich sein, wenn er immer wieder gefragt wird; ‘wann machst Du endlich ein Weihnachtsalbum?’ So geschehen seit vielen Jahren. Ich würde mich selbst als spirituellen Menschen bezeichnen, gehöre jedoch keiner religiösen Gemeinschaft an. Was also sollte mich veranlassen, ein Weihnachtsalbum zu machen?
Es war wahrlich ein Prozess, bis nun MIDNIGHT CLEAR, eben ein Weihnachtsalbum, vorliegt. Und ich würde sogar sagen, dass es zu einem meiner wichtigsten Prozesse wurde. Gewissermassen war es fast schon so etwas wie eine Art von Saulus-zu-Paulus-Weg. Um dies etwas genauer zu erläutern muss ich etwas weiter ausholen.
Ich hatte das grosse Glück, in einer sehr inspirierenden Umgebung aufzuwachsen, einmal sicherlich künstlerisch, aber auch geistig und spirituell. So wurde mir schon sehr früh bewusst gemacht, dass wir Menschen neben der Entwicklung unserer rationalen Beziehung zum Leben wohl auch immer auf der Suche nach dem Wunderbaren, dem Unerklärbaren der grossen Zusammenhänge sein werden, dass gerade diese Suche ein entscheidender Teil unseres Wesens ausmacht.
Deshalb interessierte ich mich immer sehr für die Religionen der Welt als historische Erklärungsmodelle. Ich tat mich nie schwer mit deren Inhalten und ich fand schon immer, dass die Bergpredigt eigentlich alles enthalten würde, was es braucht, um eine Gesellschaft mit allen notwendigen Regeln zu versorgen, ohne sie zu entmündigen. Die selben wertvollen Weisungen würden sich auch in allen anderen religiösen Strukturen finden und umsetzen lassen. Aber eben – würden!
Die Umsetzung all dieser wertvollen Anweisungen jedoch war und ist in höchstem Masse kontrovers! Wir blicken zurück auf Jahrtausende von Kirchengeschichte aller religiösen Strömungen, in denen einerseits das Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen geschaffen wurde, die aber gleichzeitig auch geprägt sind von schamlosestem Machtmissbrauch, komplexester Korruption, umfassender geistiger Entmündigung und unbeschreiblicher Brutalität.
Die Summe eines solchen Rückblickes kann leicht ein Menschenbild entstehen lassen, welches einen einigermassen aufgeweckten jungen Menschen mindestens zum Atheisten, wenn nicht gar zum offensiven Religionsgegener werden lassen kann. Und wenn die Geschichte da noch nicht reichen sollte, dann dürften die jüngsten Ereignisse in der Auseinandersetzung des Islam mit dem Rest der Welt sicherlich ausreichen. Hier spreche ich ganz und gar aus eigener Erfahrung als Spätachtundsechziger.
Und die erste Frage erhebt sich unausweichlich: Was haben uns all diese Religionen gebracht? Wieviel unbeschreibliches Leid im Namen der Religionen! Und unausweichlich folgt die zweite Frage: können die Religionen überhaupt bleibende Werte schaffen und vertreten, wenn sie doch offenbar so leicht korrumpierbar sind?
Wenn man bei diesen Fragen stecken bleibt, dann bleibt einem nur, sich abzuwenden von diesem ganzen Themenbereich und das Hoffen auf ein Wunder, auf dass irgendwann einmal die reine Lehre geschaffen oder entdeckt wird, die solchen Missbrauch an sich ausschliesst. Aber im Stillen wissen wir ja, dass auch dann der Mensch in der Umsetzung wieder über sich selbst stolpern wird, in seiner traurigen Blindheit und Unbewusstheit seinem tatsächlichen Potential gegenüber.
Wir wissen alles über unsere dunkelsten Schattenseiten, über unsere unermessliche Kreativität der Gewalt und Zerstörung, in Bild und Ton, auf’s schmerzlichste detailliert. Aber wir haben keine, oder nur eine nur dumpfe, undifferenzierte Ahnung über die Kraft unserer grössten und wichtigsten Fähigkeit: die des Liebens und des Mitgefühls.
Man hat uns jahrtausende erfolgreich gesagt, dass wir Sünder sind, von Anfang an, noch bevor wir Gelegenheit hatten, etwas falsch zu machen. Aber es wurde vergessen, uns auch an die Kraft des Guten in uns selbst zu erinnern – oder war das gar Absicht? Wüssten wir mehr über die Grösse dieser Kraft, über ihre Wirkungsweise, dann wären wir sicherlich mutiger, entschlossener, motivierter, würden wir endlich verstehen was wir hier wirklich sollen und – können.
Und hier fühle ich mich wieder sehr verbunden mit Paulus: Natürlich würde ich mir eine Welt wünschen, in der es keiner Religion bedarf, in der jeder erkennt, wie alles durchflutet ist von einem grossen Sinn, einem grossen Zusammenhang, einem grossen geistigen Prinzip, im Kleinsten wie im Grossen, im Profanen wie im Profunden. Eine Welt, in der wir dieses Erkennen dennoch annehmen können, obschon wir immer nur einen kleinen Teil davon wirklich verstehen. Mit dem Erkennen verhält es sich wie mit dem Horizont; versuchen wir ihn zu berühren, rutscht er einfach weiter weg…
Aber wir leben ganz offensichtlich noch nicht in einer solchen Welt dieses Erkennens, und so werden wir weiterhin Religionen brauchen, die uns dieses geistige Prinzip unablässig in Erinnerung rufen. Was wir daraus machen liegt dann allein in unserer Hand, jeder ganz für sich.
Im Sommer 2006 besuchte der Dalai Lama das interreligiöse Forum in Zürich. Es war gleichzeitig sein siebzigster Geburtstag und ich wurde eingeladen, diesen grossen Anlass musikalisch zu umrahmen. In seiner Rede an das sehr gemischte Publikum, betonte der Dalai Lama, wie wichtig es sein, seine spirituelle Heimat nicht weit weg in der Exotik zu suchen, sondern vielmehr in der vertrauten Umgebung seiner eigenen Tradition. Denn die Inhalte seien letztlich identisch und universell. Das Handeln nach diesen Inhalten sei das Entscheidende.
Ganz in diesem Sinn werde ich mich für meinen Teil weiterhin ganz auf die Inhalte konzentrieren und möchte keine Zeit verschwenden, die düstere Vergangenheit (Christentum) und die dramatischen Fehlinterpretationen (Islam) der Religionen als bequeme Ausrede für die eigene Passivität zu nutzen und auf die „perfekte Lösung“ von aussen zu warten, auf eben diese „reine Lehre“. Vielmehr werde ich weiterhin die Botschaft von Liebe und Mitgefühl, von Frieden und Hoffnung unterstützen und verbreiten, wo immer sich Gelegenheit bietet und aus welchem spirituellen Zusammenhang sie auch immer kommen mag. Ich werde weiterhin versuchen, durch die Musik die Schattenmauer zu durchdringen und uns unsere Sehnsucht nach Liebe und Mitgefühl, aber auch unsere Fähigkeit dazu in Erinnerung zu rufen, welche ja auch gleichzeitig der Schlüssel zur Lösung unserer Probleme bedeutet, im Einzelnen wie auch im Kollektiven. Und ich werde auch weiterhin mich nicht darum scheren, dass in unserer Kultur Menschen mit einer solchen Ausrichtung oftmals belächelt werden.
Wer unser positives Potential in seiner vollen Grösse erkannt hat und wachen Blickes ist für die Entwicklungen in der Welt, weiss wohl, dass wir es uns nicht leisten können, untätig auf dessen Befreiung zu warten.
Und so wünsche ich Euch viel Freude mit MIDNIGHT CLEAR, unserem ‘Weihnachtsalbum’, welches sich übrigens sicher auch im July hören lässt ;-)”
Andreas Vollenweider, Kreta, August 2006
Die Musiker:
Ganz besonders ist sicher die erneute Zusammenarbeit von Andreas mit seiner langjährigen Freundin Carly Simon, der legendären amerikanischen Sängerin und Komponistin. Diesmal jedoch haben sich die beiden mit einem kleinen Team in Carly’s Haus auf Martha’s Vineyard, einer wunderschönen Insel vor Boston, zurückgezogen und gemeinsam 4 Lieder geschrieben. Zum Team gehörten auch Matthias Gohl, ebenfalls ein Schweizer, welcher jedoch schon seit 25 Jahren in den USA lebt und dort ein sehr gefragter Produzent und Komponist für Filmmusik ist, und Jimmy Parr, Sound-Engineer und kreativer Mitgestalter der Songs.
Neben seinen angestammten Bandmitgliedern Walter Keiser (Schlagzeug), Daniel Küffer (Saxophone und Klarinetten) und Andi Pupato (Perkussion), hat auch seit langem wieder einmal sein langjähriger Weggefährte Max Lässer auf diesem Album mit allerlei Gitarren u.ä. kräftig mitgewirkt. In einigen Songs ebenfalls wieder einmal den Bass gezupft hat Peter Keiser, Walter’s Zwillingsbruder. An Orgel und Keyboards zum ersten Mal dabei war Philippe Kuhn, wie schon auf „VOX“ hat Martin Tillmann seine gefühlvollen Celloklänge eingebracht. Andreas selbst setzt wieder eine Vielzahl von Instrumenten ein, von Flöten über Soprano Sax, Gitarre, Bass, Keyboards bis zur Stimme.
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The holly and the lvy
Over the hills and over the vale
Midnight clear
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What child is this ?
Carol of the drum
Forgive
Jesu, joy of man`s desire
Child in a manger
Hymn to the secret heart
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